Die Riemannsche Zahlenkugel und Möbiustransformationen.

Stereographische Projektion.

Wir identifizieren die komplexe Zahlenebene $ \mbox{$\mathbb{C}=\mathbb{R}^2$}$ mit der $ \mbox{$x_1x_2$}$ -Ebene im dreidimensionalen Raum $ \mbox{$\mathbb{R}^3$}$ . Es sei $ \mbox{$S$}$ die Einheitssphäre im $ \mbox{$\mathbb{R}^3$}$ , d.h.

$ \mbox{$\displaystyle
S \;:=\; \{(x_1,x_2,x_3)\in\mathbb{R}^3\;\vert\; x_1^2+x_2^2+x_3^2=1\}\;.
$}$
Die stereographische Projektion eines Punktes $ \mbox{$z\in\mathbb{C}$}$ auf $ \mbox{$S$}$ ist definiert als der Schnittpunkt der Geraden durch den Nordpol $ \mbox{$N:=(0,0,1)$}$ und $ \mbox{$z$}$ mit der Sphäre $ \mbox{$S$}$ .

\includegraphics[width=10cm]{spherical.eps}

Es sei $ \mbox{$Z=(x_1,x_2,x_3)$}$ die stereographische Projektion von $ \mbox{$z=x+\text{i} y$}$ . Löst man die Gleichungen der Geraden und der Sphäre auf, so ergeben sich die Formeln

$ \mbox{$\displaystyle
x_1 \;=\; \frac{2x}{\vert z\vert^2+1}\;,\;\; x_2\;=\; \f...
...{\vert z\vert^2+1}\;,\;\; x_3\;=\; \frac{\vert z\vert^2-1}{\vert z\vert^2+1}
$}$
und
$ \mbox{$\displaystyle
z \;=\; \frac{x_1+\text{i}x_2}{1-x_3}\;.
$}$
Die so definierte Abbildung $ \mbox{$\mathbb{C}\to S\setminus\{N\}$}$ ist bijektiv und stetig, und ihre Umkehrabbildung ist ebenfalls stetig. Auf diese Weise kann man die komplexe Zahlenebene geometrisch identifizieren mit der Einheitssphäre ohne Nordpol.

Der fehlende Punkt $ \mbox{$N$}$ werde zusätzlich mit einem Punkt $ \mbox{$\infty\notin\mathbb{C}$}$ identifiziert, d.h. wir setzen $ \mbox{$p(\infty):=N$}$ . So erhalten wir eine bijektive Abbildung

$ \mbox{$\displaystyle
p: \mathbb{C}_\infty \;:=\; \mathbb{C}\cup\{\infty\} \;\overset{\cong}\longrightarrow\; S\;.
$}$
Die Sphäre $ \mbox{$S$}$ wird als Riemannsche Zahlenkugel bezeichnet.

Chordale Metrik.

Auf der Riemannschen Zahlenkugel ist die euklidische Metrik des $ \mbox{$\mathbb{R}^3$}$ gegeben, d.h. für $ \mbox{$x=(x_1,x_2,x_3)^\text{t}$}$ , $ \mbox{$x'=(x_1',x_2',x_3')^\text{t}\in\mathbb{R}^3$}$ gilt

$ \mbox{$\displaystyle
d(x,x') \;=\; \sqrt{\sum_{k=1}^3(x_k-x_k')^2}\;.
$}$
Überträgt man diese Metrik mittels $ \mbox{$p$}$ auf $ \mbox{$\ \mathbb{C}_\infty$}$ so erhält man die chordale Metrik auf $ \mbox{$\ \mathbb{C}_\infty$}$
$ \mbox{$\displaystyle
\begin {array}{rcl}
d(z,z') &=& \dfrac{2\vert z-z'\vert}...
...m}\\
d(z,\infty) &=& \dfrac {2}{\sqrt {1+\vert z\vert^2}} \;,
\end {array}
$}$
wobei $ \mbox{$z,z' \in \mathbb{C}$}$ seien.

Wegen der Stetigkeit von $ \mbox{$p: \mathbb{C} \to S\setminus \{N\}$}$ und ihrer Umkehrabbildung ist die chordale Metrik auf $ \mbox{$\mathbb{C}$}$ äquivalent zur gewöhnlichen euklidischen Metrik, d.h. alle topologischen Begriffe stimmen unter beiden Metriken überein.

Auf diese Weise haben wir $ \mbox{$\ \mathbb{C}_\infty$}$ zu einem kompakten metrischen Raum gemacht.

Die $ \mbox{$\varepsilon$}$ -Umgebungen des Punktes $ \mbox{$\infty$}$ bezüglich der chordalen Metrik sind gerade die Mengen der Form

$ \mbox{$\displaystyle
\{\infty\}\cup\{z\in\mathbb{C}\;\vert\; \vert z\vert>\delta\}
$}$
für beliebiges $ \mbox{$\delta>0$}$ . Daher gilt für eine Folge $ \mbox{$(z_n)_{n\ge m}$}$ in $ \mbox{$\mathbb{C}$}$ , daß
$ \mbox{$\displaystyle
z_n\to\infty \;\text{f\uml ur}\; n\to\infty \;\iff\; \vert z_n\vert\to\infty \;\text{f\uml ur}\; n\to\infty\;,
$}$
wobei der letzte Grenzwert als gewöhnlicher reeller Grenzwert zu lesen ist.

Möbiustransformationen.

Eine gebrochen lineare Abbildung ist eine Abbildung der Form

$ \mbox{$\displaystyle
T(z) \;=\; \frac{az+b}{cz+d}\;,
$}$
wobei $ \mbox{$a,b,c,d\in\mathbb{C}$}$ . Ist zusätzlich $ \mbox{$ad-bc\ne 0$}$ , so heißt $ \mbox{$T$}$ eine Möbiustransformation. In diesem Falle kann man $ \mbox{$T$}$ auf $ \mbox{$\ \mathbb{C}_\infty$}$ definieren. Man setzt hier
$ \mbox{$\displaystyle
\begin{array}{rcl}
T(\frac{-d}{c}) &:=& \infty\;,\;\;\te...
...ace*{2mm}\\
T(\infty) &:=& \infty \;,\;\;\text{falls}\; c= 0\;.
\end{array}$}$
Man beachte, daß wegen $ \mbox{$ad-bc\ne 0$}$ der Zähler $ \mbox{$az+b$}$ und der Nenner $ \mbox{$cz+d$}$ nicht beide gleich $ \mbox{$0$}$ sein können. Diese Definitionen sind so gewählt, daß $ \mbox{$T:\mathbb{C}_\infty\to\mathbb{C}_\infty$}$ stetig ist.

Die Matrix $ \mbox{$\begin{pmatrix}a&b\\  c&d\end{pmatrix}$}$ ist durch die Möbiustransformation $ \mbox{$T(z)=\frac{az+b}{cz+d}$}$ nur bis auf eine multiplikative Konstante in $ \mbox{$\mathbb{C}\setminus\{0\}$}$ bestimmt.

Die Verkettung zweier Möbiustransformationen

$ \mbox{$\displaystyle
T_1(z) \;=\; \frac{a_1z+b_1}{c_1z+d_1}\;,\;\; T_2(z) \;=\; \frac{a_2z+b_2}{c_2z+d_2}
$}$
kann durch die Berechnung des Matrixproduktes ermittelt werden. Es ist
$ \mbox{$\displaystyle
\begin{array}{c}
(T_1\circ T_2)(z) \;=\; \dfrac{a_3z+b_3...
...nd{pmatrix}\cdot\begin{pmatrix}a_2&b_2\\  c_2&d_2\end{pmatrix}\;.
\end{array}$}$
Entsprechend kann die Umkehrabbildung einer Möiustransformation durch Invertierung der zugehörigen Matrix bestimmt werden; es gilt
$ \mbox{$\displaystyle
T(z) \;=\; \frac{az+b}{cz+d} \;\implies\; T^{-1}(z) \;=\; \frac{dz-b}{-cz+a}\;.
$}$
Der Faktor $ \mbox{$\frac{1}{ad-bc}$}$ kann dabei vernachlässigt werden, da er die Abbildung nicht beeinflußt.

Jede Möbiustransformation bildet somit $ \mbox{$\ \mathbb{C}_\infty$}$ bijektiv auf sich selbst ab.

Abbildungsverhalten von Möbiustransforamtionen.

Unter einem verallgemeinerten Kreis in $ \mbox{$\ \mathbb{C}_\infty$}$ versteht man eine Gerade zusammen mit dem Punkt $ \mbox{$\infty$}$ oder einen Kreis in $ \mbox{$\mathbb{C}$}$ . Dieser Begriff ist gerechtfertigt, denn unter der stereographischen Projektion entsprechen verallgemeinerte Kreise in $ \mbox{$\ \mathbb{C}_\infty$}$ eineindeutig den Kreisen auf der Riemannschen Zahlenkugel.

Eine Orientierung eines verallgemeinerten Kreises $ \mbox{$K\subseteq\mathbb{C}_\infty$}$ ist ein Tripel $ \mbox{$(z_1,z_2,z_3)$}$ von Punkten auf $ \mbox{$K$}$ . Eine Orientierung ist anschaulich als Durchlaufsinn oder Durchlaufrichtung zu verstehen. Zu einem verallgemeinerten Kreis $ \mbox{$K$}$ mit Orientierung kann man stets das links von $ \mbox{$K$}$ liegende Gebiet $ \mbox{$G$}$ definieren. Ist $ \mbox{$K$}$ ein Kreis, so ist $ \mbox{$G$}$ das Innere oder das Äußere von $ \mbox{$K$}$ , je nachdem ob die gewählte Orientierung mathematisch positiv oder negativ ist. Ist $ \mbox{$K$}$ eine Gerade, so ist $ \mbox{$G$}$ eine Halbebene.

Eine Möbiustransformation bildet verallgemeinerte Kreise auf verallgemeinerte Kreise ab, und erhält dabei die Orientierung und das links liegende Gebiet. Ist also $ \mbox{$T$}$ eine Möbiustransformation, $ \mbox{$K$}$ ein verallgemeinerter Kreis mit Orientierung $ \mbox{$(z_1,z_2,z_3)$}$ und $ \mbox{$G$}$ das links von $ \mbox{$K$}$ liegende Gebiet, so ist $ \mbox{$T(K)$}$ ein verallgemeinerter Kreis mit Orientierung $ \mbox{$(T(z_1),T(z_2),T(z_3))$}$ , und $ \mbox{$T(G)$}$ ist das links von $ \mbox{$T(K)$}$ liegende Gebiet.

Konstruktion von Möbsiutransformationen.

Es seien $ \mbox{$z_1,z_2,z_3\in\mathbb{C}_\infty$}$ bzw. $ \mbox{$w_1,w_2,w_3\in\mathbb{C}_\infty$}$ jeweils paarweise verschieden. Dann gibt es genau eine Möbiustransformation, welche $ \mbox{$z_i$}$ auf $ \mbox{$w_i$}$ abbildet für $ \mbox{$i=1,2,3$}$ . Diese kann durch die Sechs-Punkte-Formel berechnet werden. Man schreibe

$ \mbox{$\displaystyle
\frac{w-w_1}{w-w_3}\cdot\frac{w_2-w_3}{w_2-w_1} \;=\; \frac{z-z_1}{z-z_3}\cdot\frac{z_2-z_3}{z_2-z_1}\;.
$}$
Ist ein $ \mbox{$z_i$}$ bzw. $ \mbox{$w_j$}$ gleich $ \mbox{$\infty$}$ , so sind die beiden Terme, in denen $ \mbox{$z_i$}$ bzw. $ \mbox{$w_j$}$ vorkommt, durch $ \mbox{$1$}$ zu ersetzen. Löst man die Sechs-Punkte-Formel nach $ \mbox{$w$}$ auf, so erhält man die gesuchte Möbiustransformation in der Form $ \mbox{$w=T(z)$}$ .