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Bedingte Erwartung und bedingte Wahrscheinlichkeit

Als Hilfsmittel benötigen wir die Begriffe der bedingten Erwartung bzw. der bedingten Wahrscheinlichkeit bezüglich einer beliebigen Teil-$ \sigma$-Algebra $ \mathcal{G}\subset\mathcal{F}$ der Ereignis-$ \sigma$-Algebra $ \mathcal{F}$ des zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeitsraumes $ (\Omega,\mathcal{F},P)$.

Beachte
$ \;$


Die folgende (allgemeine) Definition der bedingten Erwartung beruht auf dem Satz von Radon-Nikodym der Maß- und Integrationstheorie. Sie enthält die oben betrachteten Definitionsgleichungen (1) und (2) als Spezialfall.

Defintion
$ \;$ Jede $ (\mathcal{G},\mathcal{B}(\mathbb{R}))$-messbare Abbildung $ Z:\Omega\to\mathbb{R}$, für die (5) gilt, heißt eine Version der bedingten Erwartung von $ X$ bezüglich $ \mathcal{G}$ und wird mit $ {\mathbb{E} }(X\mid\mathcal{G})$ bezeichnet.


Aus der Definitionsgleichung (5) und aus den allgemeinen Rechenregeln für das Lebesgue-Integral ergeben sich die folgenden Eigenschaften der bedingten Erwartung, die wir hier lediglich (ohne Beweis) erwähnen.

Theorem 3.6   Seien $ X,Y:\Omega\to\mathbb{R}$ beliebige Zufallsvariablen über $ (\Omega,\mathcal{F},P)$ mit

$\displaystyle {\mathbb{E} }\vert X\vert<\infty ,\qquad{\mathbb{E} }\vert Y\vert<\infty ,\qquad{\mathbb{E} }\vert XY\vert<\infty ,
$

und sei $ \mathcal{G}\subset\mathcal{F}$ eine beliebige Teil-$ \sigma$-Algebra von $ \mathcal{F}$. Dann gilt
1.
$ {\mathbb{E} }(X\mid\{\emptyset,\Omega\})={\mathbb{E} }X, {\mathbb{E} }(X\mid\mathcal{F})=X$,
2.
$ {\mathbb{E} }(aX+bY\mid\mathcal{G})=a {\mathbb{E} }(X\mid\mathcal{G})+b {\mathbb{E} }(Y\mid\mathcal{G})$ für beliebige $ a,b\in\mathbb{R}$,
3.
$ {\mathbb{E} }(X\mid\mathcal{G})\le{\mathbb{E} }(Y\mid\mathcal{G})$, falls $ X\le Y$,
4.
$ {\mathbb{E} }(XY\mid\mathcal{G})=Y{\mathbb{E} }(X\mid\mathcal{G})$, falls $ Y$ eine $ (\mathcal{G},\mathcal{B}(\mathbb{R}))$-messbare Zufallsvariable ist,
5.
$ {\mathbb{E} }\bigl({\mathbb{E} }(X\mid\mathcal{G}_2)\mid\mathcal{G}_1\bigr)={\mathbb{E} }(X\mid\mathcal{G}_1)$, falls $ \mathcal{G}_1$ und $ \mathcal{G}_2$ Teil-$ \sigma$-Algebren von $ \mathcal{F}$ sind mit $ \mathcal{G}_1\subset\mathcal{G}_2$,
6.
$ {\mathbb{E} }(X\mid\mathcal{G})={\mathbb{E} }X$, falls die $ \sigma$-Algebren $ \mathcal{G}$ und $ \sigma(X)=X^{-1}(\mathcal{B}(\mathbb{R}))$ unabhängig sind, d.h., falls $ P(A\cap A^\prime)=P(A)P(A^\prime)$ für beliebige $ A\in\mathcal{G}$ und $ A^\prime\in\sigma(X)$.
7.
$ {\mathbb{E} }\bigl(f(X)\mid \mathcal{G}\bigr)\ge f\bigl({\mathbb{E} }(X\mid \mathcal{G})\bigr)$, falls $ f:\mathbb{R}\to\mathbb{R}$ eine konvexe Funktion ist, so dass $ {\mathbb{E} }\vert f(X)\vert<\infty$.


Beachte
$ \;$ Außerdem sind die folgenden Eigenschaften bzw. Schreib- und Sprechweisen von Interesse.

Beispiele
 
  1. Absolutstetige Zufallsvektoren
    • Sei $ (X,Y):\Omega\to\mathbb{R}^2$ ein beliebiger absolutstetiger Zufallsvektor mit der gemeinsamen Dichte $ f_{X,Y}:\mathbb{R}^2\to[0,\infty]$ und der Randdichte $ f_Y:\mathbb{R}\to[0,\infty]$ von $ Y$, wobei $ f_Y(y)=\int_\mathbb{R}
f_{X,Y}(x,y) {\rm d}x$.
    • Die Funktion $ g:\mathbb{R}\to[0,\infty)$ mit $ g(y)=\int_\mathbb{R}\vert x\vert f_{X,Y}(x,y) {\rm d}x$ sei beschränkt.
    • Dann ist eine Version der bedingten Erwartung $ {\mathbb{E} }(X\mid Y)$ gegeben durch

      $\displaystyle {\mathbb{E} }(X\mid Y)(\omega)=\left\{\begin{array}{ll}\displays...
...Y(Y(\omega))>0$,}\  0 , & \mbox{falls $f_Y(Y(\omega))=0$.} \end{array}\right.$ (6)

  2. Funktionale unabhängiger Zufallsvariablen
    • Seien $ X,Y:\Omega\to\mathbb{R}$ unabhängige Zufallsvariablen, und sei $ g:\mathbb{R}^2\to\mathbb{R}$ eine Borel-messbare Abbildung, so dass die Funktion $ g^\prime:\mathbb{R}\to[0,\infty)$ mit $ g^\prime(y)={\mathbb{E} }\vert g(X,y)\vert$ beschränkt ist.
    • Dann ist eine Version der bedingten Erwartung $ {\mathbb{E} }(g(X,Y)\mid Y)$ gegeben durch

      $\displaystyle {\mathbb{E} }(g(X,Y)\mid Y)=g^{\prime\prime}(Y) ,$ (7)

      wobei die Abbildung $ g^{\prime\prime}:\mathbb{R}\to\mathbb{R}$ gegeben ist durch $ g^{\prime\prime}(y)={\mathbb{E} }g(X,y)$.
  3. Funktionale unabhängiger stochastischer Prozesse
    • Seien $ \{X_t, t\ge 0\}$ und $ \{Y_t, t\ge 0\}$ unabhängige stochastische Prozesse, d.h.,
      • $ \{X_t\}$ und $ \{Y_t\}$ seien unabhängige Familien von $ (\mathcal{F},\mathcal{B}(\mathbb{R}))$-messbaren Abbildungen, und
      • $ \mathcal{G}=\sigma\bigl(\bigcup_{t\ge 0} Y_t^{-1}(\mathcal{B}(\mathbb{R}))\bigr)$ sei die durch den Prozess $ \{Y_t\}$ erzeugte Teil-$ \sigma$-Algebra von $ \mathcal{F}$.
      • Sei $ g:(\mathbb{R}^\infty)^2\to\mathbb{R}$ eine Borel-messbare Abbildung, so dass die Funktion $ g^\prime:\mathbb{R}^\infty\to[0,\infty)$ mit $ g^\prime(y)={\mathbb{E} }\vert g(\{X_t\},y)\vert$ beschränkt ist.
    • Für $ X=g(\{X_t\},\{Y_t\})$ gilt dann $ {\mathbb{E} }\vert X\vert<\infty$, und die bedingte Erwartung $ {\mathbb{E} }(X\mid\mathcal{G})$ wird mit dem Symbol $ {\mathbb{E} }(X\mid \{Y_t\})$ bezeichnet.
    • Außerdem ist eine Version der bedingten Erwartung $ {\mathbb{E} }(X\mid \{Y_t\})$ gegeben durch

      $\displaystyle {\mathbb{E} }(X\mid \{Y_t\})=g^{\prime\prime}(\{Y_t\}) ,$ (8)

      wobei die Abbildung $ g^{\prime\prime}:\mathbb{R}^\infty\to\mathbb{R}$ gegeben ist durch $ g^{\prime\prime}(y)={\mathbb{E} }g(\{X_t\},y)$.


Schließlich erwähnen wir noch kurz den Begriff bedingter Wahrscheinlichkeiten bezüglich $ \sigma$-Algebren.

Definition
 


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Jonas Rumpf 2006-07-27