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Ereignissysteme

Aus gegebenen Ereignissen $ A_1,A_2,\ldots$ kann man durch deren ,,Verknüpfung'' weitere Ereignisse bilden. Dies wird durch die folgenden Mengenoperationen modelliert.

Definition 2.3
 
  1. Vereinigungsmenge$ \;$ $ A_{1}\cup A_{2}$: Menge aller Elemente, die zu $ A_{1}$ oder $ A_{2}$ gehören.
    $ \bigcup\limits ^{\infty }_{i=1}A_{i}=A_{1}\cup A_{2}\cup \ldots$: Menge aller Elemente, die zu mindestens einer der Mengen $ A_{i}$ gehören.
  2. Schnittmenge $ A_{1}\cap A_{2}$: Menge aller Elemente, die zu $ A_{1}$ und $ A_{2}$ gehören.
    $ \bigcap\limits ^{\infty }_{i=1}A_{i}=A_{1}\cap A_{2}\cap \ldots$: Menge aller Elemente, die zu jeder der Mengen $ A_{i}$ gehören.
  3. Differenzmenge $ A_{1}\setminus A_{2}$: Menge aller Elemente von $ A_{1}$, die nicht zu $ A_{2}$ gehören.
    Spezialfall: $ \; A^{c}=\Omega \setminus A$ ( Komplement)
Beispiel
$ \;$ Sei $ \Omega =\{a,b,c,d\},A_{1}=\{a,b,c\},A_{2}=\{b,d\}$.
Dann gilt $ A_{1}\cup A_{2}=\{a,b,c,d\};\; A_{1}\cap A_{2}=\{b\};\; A_{1}\setminus
A_{2}=\{a,c\};\; A_1^{c}=\{d\}$.
Beachte
 
  1. Das Ereignis $ A_1\cup A_2$ tritt genau dann ein, wenn $ A_1$ oder $ A_2$ oder beide eintreten.
  2. Das Ereignis $ A_1\cap A_2$ tritt genau dann ein, wenn $ A_1$ und $ A_2$ eintreten.
  3. Das Ereignis $ A_1\setminus A_2$ tritt genau dann ein, wenn $ A_1$ eintritt und $ A_2$ nicht eintritt.
Lemma 2.4
$ \;$ Für beliebige Mengen $ A_1,A_2\subset \Omega$ gilt: $ A_1\setminus A_2 =A_1\cap A_2^{c}$.
Beweis
$ \;$ klar

Definition 2.5
$ \;$ Die Mengen $ A_{1},A_{2},\ldots \subset \Omega$ heißen paarweise disjunkt, falls $ A_{i}\cap A_{j}=\emptyset$ für beliebige $ i\neq j$.
Bemerkung
$ \;$ Jede beliebige Folge von Mengen $ A_{1},A_{2},\ldots \subset \Omega$ kann man in eine Folge von paarweise disjunkten Mengen $ A_{1}',A_{2}',\ldots$ überführen: Sei $ A_{1}'=A_{1}, A_{2}'=A_{2}\setminus A_{1}',
A_{3}'=A_{3}\setminus (A_{1}'\cup A_{2}'),\ldots$
Dann gilt: $ A_i'\cap A_j'=\emptyset$ für $ i\not= j$, und $ \bigcup\limits ^{\infty }_{n=1}A_{n}=\bigcup\limits _{n=1}^{\infty }A_{n}'$
Weitere Eigenschaften
$ \;$ Sei $ A,B,C\subset \Omega$.
  1. Eindeutigkeitsgesetze:$ \;$ $ A\cup \emptyset =A,A\cap \emptyset
=\emptyset ,A\cup \Omega =\Omega ,A\cap \Omega =A$
    (allgemein: falls $ A\subset B$, dann gilt $ A\cap B=A,A\cup B=B$)
  2. de Morgansche Gesetze: $ \;$ $ (A\cup B)^{c}=A^{c}\cap B^{c},(A\cap B)^{c}=A^{c}\cup B^{c}$
  3. Assoziativ-Gesetze: $ \;$ $ A\cup (B\cup C)=(A\cup B)\cup C,A\cap (B\cap C)=(A\cap B)\cap C$
  4. Distributiv-Gesetze: $ \;$ $ A\cup (B\cap C)=(A\cup B)\cap (A\cup C),A\cap (B\cup C)=(A\cap B)\cup (A\cap C)$


Es ist oft nicht zweckmäßig, alle möglichen Teilmengen von $ \Omega$ in die Modellierung einzubeziehen, sondern man betrachtet nur die Familie derjenigen Teilmengen von $ \Omega$, deren Wahrscheinlichkeiten tatsächlich von Interesse sind. Diese Mengenfamilie soll jedoch abgeschlossen sein bezüglich der Operationen $ \cup,\cap,\setminus$, was durch die folgende Begriffsbildung erreicht wird.

Definition 2.6
$ \;$ Eine nichtleere Familie $ \mathcal{F}$ von Teilmengen von $ \Omega$ heißt Algebra, falls
(A1)
$ A\in \mathcal{F}\Rightarrow A^{c}\in \mathcal{F}$
(A2)
$ A_{1},A_{2}\in \mathcal{F}\Rightarrow A_{1}\cup A_{2}\in \mathcal{F}$
Beispiel
$ \;$ $ \Omega =\{a,b,c,d\},\;\mathcal{F}_1=\left\{
\emptyset ,\{a\},\{b,c,d\},\Omega \right\}$ ist eine Algebra, $ \mathcal{F}_2=\left\{ \emptyset,\{a\},\{b,c\},\Omega \right\}$ ist dagegen keine Algebra.
Lemma 2.7
$ \;$ Sei $ \mathcal{F}$ eine Algebra und $ A_{1},A_{2},\ldots ,A_{n}\in \mathcal{F}.$ Dann gilt
  1. $ \emptyset ,\Omega \in \mathcal{F}$
  2. $ A_{1}\cap A_{2}\in \mathcal{F}$
  3. $ A_{1}\setminus A_{2}\in \mathcal{F}$
  4. $ \bigcup\limits _{i=1}^{n}A_{i}\in \mathcal{F},\bigcap\limits _{i=1}^{n}A_{i}\in \mathcal{F}$
Beweis
 
  1. Weil $ \mathcal{F}$ nicht leer, gibt es ein $ A\in \mathcal{F},A\subset \Omega$. Also gilt $ A^{c}\in \mathcal{F}$ wegen (A1) bzw.
    $ \underbrace{A\cup A^{c}}_{=\Omega }\in\mathcal{F}$ wegen (A2) bzw. $ \underbrace{\Omega ^{c}}_{=\emptyset }\in
\mathcal{F}$ wegen (A1)
  2. $ A_{1}\cap A_{2}=\left( A^{c}_{1}\cup A^{c}_{2}\right) ^{c}\in \mathcal{F}$
  3. $ A_{1}\setminus A_{2}=A_{1}\cap A^{c}_{2}=(A^{c}_{1}\cup A_{2})^{c}\in \mathcal{F}$
  4. Induktion
Um Grenzwerte bilden zu können, ist es erforderlich, daß das Mengensystem $ \mathcal{F}$ nicht nur abgeschlossen ist bezüglich Vereinigung bzw. Durchschnitt von endlich vielen Mengen (vgl. Teilaussage 4 von Lemma 2.7), sondern auch bezüglich Vereinigung bzw. Durchschnitt von abzählbar unendlich vielen Mengen. Dies wird durch die Hinzunahme der folgenden Bedingung erreicht.

Definition 2.8
$ \;$ Eine Algebra $ \mathcal{F}$ heißt $ \sigma$-Algebra, falls zusätzlich
(A3)
$ \;$ $ A_{1},A_{2},\ldots \in \mathcal{F}\, \Rightarrow \bigcup\limits _{i=1}^{\infty }A_{i}\in \mathcal{F}$ gilt.

Beachte
 
  1. Das Paar $ (\Omega ,\mathcal{F})$ heißt Meßraum, falls $ \mathcal{F}$ eine $ \sigma$-Algebra ist.
  2. Sei $ \Omega=\mathbb{N}$, und sei $ \mathcal{F}$ die Familie derjenigen Teilmengen $ A$ von $ \mathbb{N}$, so daß entweder $ A$ oder $ A^c$ nur endlich viele Elemente hat. Das Mengensystem $ \mathcal{F}$ ist eine Algebra, jedoch keine $ \sigma$-Algebra.
  3. Für jedes $ \Omega$ ist die Potenzmenge $ \mathcal{P}$, d.h. die Familie aller Teilmengen von $ \Omega$, stets eine $ \sigma$-Algebra.
  4. Falls $ \Omega$ endlich oder abzählbar unendlich ist, kann $ \mathcal{F}=\mathcal{P}$ gewählt werden. Falls $ \Omega$ nicht abzählbar ist (z.B. $ \Omega =\mathbb{R}$ oder $ \Omega =[0,1]),$ dann muß eine kleinere $ \sigma$-Algebra betrachtet werden (nicht $ \mathcal{P}$), vgl. Abschnitt 3.1.


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Roland Maier 2001-08-20