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Verteilungsfunktion; absolutstetige Zufallsvariablen

Sei $ (\Omega ,\mathcal{F},P)$ ein beliebiger Wahrscheinlichkeitsraum und $ X:\Omega\to\mathbb{R}$ eine beliebige Zufallsvariable.

Definition
$ \;$ Die Funktion $ F_{X}:\mathbb{R}\rightarrow [0,1]$ mit $ F_{X}(x)= P (X\leq x)$ heißt Verteilungsfunktion von $ X$.
Wir diskutieren nun zunächst einige Eigenschaften von Verteilungsfunktionen.

Theorem 3.3   Sei $ X:\Omega\to\mathbb{R}$ eine beliebige Zufallsvariable und $ F_{X}:\mathbb{R}\rightarrow [0,1]$ ihre Verteilungsfunktion. Dann gilt
1.
Asymptotisches Verhalten im Unendlichen:

$\displaystyle F_X(-\infty ):=\underset {x\rightarrow -\infty }{\lim }F_X(x)=0\,,\qquad F_X(\infty ):=\underset {x\rightarrow \infty }{\lim }F_X(x)=1\,,$ (6)

2.
Monotonie:

$\displaystyle F_X(x)\leq F_X(x+h)\qquad\forall x\in \mathbb{R}\textrm{ und }h\geq 0,$ (7)

3.
Rechtsstetigkeit: $ F_X(x)$ ist rechtsseitig stetig, d.h. für jede Folge $ \left\{ h_{n}\right\}$ mit $ h_{n}\geq 0$ und $ \underset {n\rightarrow \infty }{\lim }h_{n}=0$ gilt

$\displaystyle \underset {n\rightarrow \infty }{\lim }F_X(x+h_{n}) =F_X(x)\qquad\forall x\in \mathbb{R}\,.$ (8)

Beweis
$ \;$
Zu 2.
Weil $ (-\infty,x]\subset(-\infty,x+h]$, ergibt sich aus Teilaussage 2 von Theorem 2.1, dass

$\displaystyle F_X(x)=P_X((-\infty,x])\le P_X((-\infty,x+h])=F_X(x+h)\,.
$

Zu 1.
Wir zeigen nur die erste Teilaussage von (6). Wegen der Monotonie von $ F_X$ können wir o.B.d.A. annehmen, dass $ x$ monoton gegen $ -\infty$ konvergiert. Aus Korollar 2.2 ergibt sich dann, dass
$\displaystyle \underset {x\rightarrow -\infty }{\lim
}F_X(x)$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \underset {x\rightarrow -\infty }{\lim
}P_X((-\infty,x])$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle P_X\bigl(\bigcap\limits_{x\le 0}(-\infty,x]\bigr)$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle P_X(\emptyset)=0\,.$  

Der Beweis der zweiten Teilaussage von (6) verläuft analog.
Zu 3.
Ähnlich wie im Beweis von Teilaussage 1 ergibt sich aus Korollar 2.2, dass
$\displaystyle \underset {n\rightarrow \infty }{\lim
}F_X(x+h_n)$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \underset {n\rightarrow \infty }{\lim
}P_X((-\infty,x+h_n])$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle P_X\bigl(\bigcap\limits_{n\ge 1}(-\infty,x+h_n]\bigr)$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle P_X((-\infty,x])$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle F_X(x)\,.$  


 
  $ \Box$


Beachte
 
  1. Mit Hilfe der Verteilungsfunktion $ F_{X}$ lassen sich auch die folgenden Wahrscheinlichkeiten ausdrücken

    $\displaystyle P(a\leq X\leq b),\quad P(a<X\leq b),\quad P(a<X<b),\quad P(a\leq X<b),$

    denn es gilt beispielsweise
    $\displaystyle P(a\leq X\leq b)$ $\displaystyle =$ $\displaystyle P(\{X\leq b\}\setminus\{ X<a\})$  
      $\displaystyle =$ $\displaystyle P(X\leq b)-P(X<a)$  
      $\displaystyle =$ $\displaystyle F_X(b)-\underset{h\downarrow 0}{\lim}F_X(a-h)\,.$  

  2. Im allgemeinen gilt jedoch nicht $ F_X(a)=\underset{h\downarrow
0}{\lim}F_X(a-h)$, sondern

    $\displaystyle F_X(a)=\underset{h\downarrow 0}{\lim}F_X(a-h)+P(X=a)\,,$ (9)

    denn
    $\displaystyle P(X=a)$ $\displaystyle =$ $\displaystyle P\bigl(\bigcap\limits_{n=1}^\infty\{a-n^{-1}<X\le
a\}\bigr)$  
      $\displaystyle =$ $\displaystyle \lim\limits_{n\to\infty}P(a-n^{-1}<X\le a)$  
      $\displaystyle =$ $\displaystyle \lim\limits_{n\to\infty}\bigl(P(X\le a)-P(X\le a-n^{-1})\bigr)$  
      $\displaystyle =$ $\displaystyle F_X(a)-\lim\limits_{n\to\infty} F_X(a-n^{-1})\,.$  

  3. In Theorem 3.3 wurde gezeigt, dass
    • Verteilungsfunktionen monotone und beschränkte Funktionen sind.
    • Hieraus folgt, dass Verteilungsfunktionen für jedes $ \varepsilon>0$ nur endlich viele Sprungstellen besitzen können, deren Sprunghöhen größer als $ \varepsilon$ sind.
    • Insgesamt können Verteilungsfunktionen also höchstens abzählbar viele Sprungstellen besitzen.
  4. Für die Verteilungsfunktion $ F_{X}$ einer diskreten Zufallsvariablen $ X$ gilt für jedes $ x\in\mathbb{R}$:
    $\displaystyle F_{X}(x)$ $\displaystyle =$ $\displaystyle P(X\leq x)$  
      $\displaystyle =$ $\displaystyle P\Bigl(\bigcup\limits_{k:\, x_{k}\leq x}
\{ X=x_{k}\} \Bigr)$  
      $\displaystyle =$ $\displaystyle \sum\limits_{k:\, x_{k}\leq x}
P( X=x_{k})$  
      $\displaystyle =$ $\displaystyle \sum\limits _{k:\,x_{k}\leq x}p_k\,,$  

    wobei $ p_k=P(X=x_k)$.
  5. Die Verteilungsfunktion $ F_{X}$ einer diskreten Zufallsvariablen $ X$ ist eine sogenannte Treppenfunktion, d.h. eine stückweise konstante Funktion mit der Sprunghöhe $ p_k $ im Punkt $ x_k $.

Theorem 3.4   Sei $ X:\Omega\to\mathbb{R}$ eine beliebige Zufallsvariable. Dann wird die Verteilung $ P_X$ von $ X$ durch die Verteilungsfunktion $ F_{X}$ von $ X$ eindeutig bestimmt.

Beweis
$ \;$
Definition
$ \;$ Die Zufallsvariable $ X:\Omega\to\mathbb{R}$ (bzw. ihre Verteilung) heißt absolutstetig, falls die Verteilungsfunktion $ F_X$ von $ X$ die folgende Integraldarstellung

$\displaystyle F_{X}(x)=\int\limits _{-\infty }^{x}f_X(y)\, dy\qquad \forall x\in\mathbb{R}$ (12)

besitzt, wobei $ f_X:\mathbb{R}\to[0,\infty)$ eine (Lebesgue-integrierbare) Funktion mit nichtnegativen Werten ist, die Dichte (bzw. Wahrscheinlichkeitsdichte) von $ X$ genannt wird. Das Integral in (12) wird im allgemeinen als Lebesgue-Integral aufgefasst.

Die Verteilungsfunktion $ F_X$ (und damit auch die Verteilung $ P_X$) einer absolutstetigen Zufallsvariablen $ X$ wird in dem folgenden Sinne eindeutig durch die Dichte $ f_X$ bestimmt.

Theorem 3.5    
1.
Die Zufallsvariable $ X:\Omega\to\mathbb{R}$ ist genau dann absolutstetig, wenn sich die Verteilung $ P_X$ von $ X$ darstellen lässt in der Form:

$\displaystyle P_{X}(B)=\int\limits _B f_X(y)\, dy\qquad \forall B\in\mathcal{B}(\mathbb{R})\,.$ (13)

2.
Die Zufallsgrößen $ X,Y:\Omega\to\mathbb{R}$ seien absolutstetig. Es gilt $ P_X=P_Y$ genau dann, wenn

$\displaystyle f_X(x)=f_Y(x)$ (14)

für fast alle $ x\in\mathbb{R}$, d.h., % latex2html id marker 29549
$ (\ref{ein.dic.for})$ gilt für alle $ x\in\mathbb{R}\setminus B$, wobei die (Borelsche) ,,Ausnahmemenge'' $ B\subset\mathbb{R}$ das Lebesgue-Maß 0 hat.

Beweis
 


Beachte
 
  1. Bei vielen Anwendungen ist die Dichte $ f_X$ eine (zumindest stückweise) stetige Funktion. Das Integral in der Definitionsgleichung (12) ist dann ein uneigentliches Riemann-Integral.
  2. Falls $ X$ absolutstetig ist, dann hat die Verteilungsfunktion $ F_X$ keine Sprünge, d.h., $ F_{X}$ ist eine (im üblichen Sinne) stetige Funktion. Hieraus und aus (9) folgt insbesondere, dass

    $\displaystyle P(X=x)=0 \qquad\forall x\in\mathbb{R}\,.$ (15)

  3. Die Verteilungsfunktion $ F_X$ einer absolutstetigen Zufallsvariablen $ X$ ist jedoch im allgemeinen nicht überall differenzierbar. Und zwar ist $ F_X$ dort nicht differenzierbar, wo die Dichte $ f_X$ Sprungstellen hat.
Beispiele
$ \;$ Um die Verteilung einer absolutstetigen Zufallsvariablen $ X$ zu beschreiben, genügt es, die Dichte $ f_X$ zu betrachten, weil durch $ f_X$ die Verteilungsfunktion $ F_X$ und damit auch die Verteilung $ P_X$ von $ X$ eindeutig bestimmt wird.
  1. Normalverteilung N $ (\mu,\sigma^2)$ mit den Parametern $ \mu\in\mathbb{R}$ und $ \sigma^2>0$:

    $\displaystyle f_X(x)=\frac{1}{\sigma \sqrt{2\pi }} \exp \left(\displaystyle-\frac{(x-\mu )^{2}}{2\sigma ^{2}}\right)\qquad\forall x\in\mathbb{R}$ (16)

    Spezialfall: Standardnormalverteilung N$ (0,1)$. Dann nimmt die Dichte $ f_X(x)$ in (16) die folgende Form an:

    $\displaystyle f_X(x)=\frac{1}{\sqrt{2\pi }}\exp \left(\displaystyle -\frac{x^{2}}{2}\right)\qquad\forall x\in\mathbb{R}$ (17)

  2. Exponentialverteilung Exp$ (\lambda)$ mit Parameter $ \lambda>0$:

    $\displaystyle f_X(x)=\left\{ \begin{array}{ll} \lambda e^{-\lambda x}, &
\mbox{falls $x\geq 0$}\\  0\,, & \mbox{falls $x<0$}
\end{array}\right.
$

  3. Gleichverteilung U$ (a,b)$ mit den Parametern $ a,b\in\mathbb{R}$, wobei $ a<b$:

    $\displaystyle f_X(x)=\left\{ \begin{array}{ll}\displaystyle
\frac{1}{b-a}\;, & \mbox{falls $a\leq x\leq b$}\\  0 & \mbox{sonst}
\end{array}\right.
$

Beachte
 

Theorem 3.6   Für beliebige $ p\in(0,1)$ und $ a,b\in\mathbb{R}$ mit $ a<b$ gilt

$\displaystyle \lim_{n\to\infty}P\Bigl(a<\frac{X_n-np}{\sqrt{np(1-p)}}\le b\Bigr) =P(a<X\le b)\,,$ (18)

wobei $ X_n$ binomialverteilt (mit den Parametern $ n$ und $ p$) und $ X$ standardnormalverteilt ist.

Der Beweis von Theorem 3.6 wird zunächst weggelassen und später, in Abschnitt 5.3 der Vorlesung, in einem allgemeineren Zusammenhang nachgeholt.
Beachte
 


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Ursa Pantle 2004-05-10